PsychosomatikGeschichtliches und Bedeutung |
In den Zeugnissen aller Epochen der abendländischen Geschichte kann man von Überlegungen zum Verhältnis von Körper und Seele, Geist und Natur im Zusammenhang mit Gesundheit und Krankheit lesen. Solche psychosomatisch zu nennenden Gedanken waren bis Mitte des 19. Jahrhunderts ein selbstverständlicher Bestandteil der Medizin, traten aber in den Hintergrund, als eine streng wissenschaftliche Medizin immer größere Bedeutung erlangte. Anfang des 20. Jahrhunderts tauchten diese Gedanken aber wieder als Gegenbewegung auf.
Bekannt wurden psychoanalytische Ansätze, die von Freud ausgingen, sowie philosophisch-anthropologische Ansätze, wie beispielsweise von Viktor von Weizsäcker oder auch psychophysiologische Entwürfe, die man seit Cannon und Pawlow im Vorfeld der Stressforschung findet.
Psychosomatische Medizin und Psychotherapie nahmen in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg eine besonders intensive Entwicklung. 1970 wurde beides als scheinpflichtiges Unterrichtsfach in der medizinischen Lehre verankert. 1950 wurde als erste universitäre Einrichtung die Psychosomatische Klinik Heidelberg unter Leitung Alexander Mitscherlichs gegründet. Vor allem Th. von Uexküll verfolgte den Versuch, internistische und psychosomatische Ansätze zu verbinden.
1992 wurde ein Facharzt mit der Bezeichnung "Arzt für Psychotherapeutische Medizin" eingeführt. Der Wissenschaftsrat betonte im selben Jahr in seinen Leitlinien zur Reform des Medizinstudiums, daß biologische, psychologische und soziale Elemente von Gesundheit als gleichwertig begriffen werden müssen.
Jede medizinische Disziplin hat mittlerweile im Umgang mit Krankheit und Gesundheit mit diesen verschiedenen Ebenen zu tun. Der Akzent des therapeutischen Handelns liegt stärker auf der einen oder der anderen Ebene.
Die Psychosomatik sieht die Ebenen als eng verwoben. Sie werden nur künstlich auseinandergehalten.
,Psychosomatik f: Definition mehrdimensional: Richtung der Medizin, die den Einfluß des Seelischen auf körperlichen Erkrankungen verfolgt. I.e.S. Krankheiten, deren Verständnis und Behandlung durch Einbeziehung des Seelischen bestimmt ist, z.B.: Ekzeme, manche Hypertonieformen, Colitis u.a.. I.w.S. Syndrome ohne faßbaren pathologischen Organbefund. Der psychische Anteil ist immer von unterschiedlicher Art und Gewicht für jeden einzelnen Patienten, was der Psychosomatik etwas sehr Individuelles gibt. " (Pschyrembel 1982, S. 981)..
Diese Ebene erfasst die Krankheit im traditionellen medizinischen Sinn. Im Mittelpunkt des Interesses steht das erkrankte Organ. "Das zugehörige Modell von Krankheit sieht den Körper als ein vernetztes, zelluläres, neuronales, endokrines System, dessen Gleichgewicht durch äußere oder innere Reize gestört werden kann, so dass vielfältige Dysregulationen erfolgen und Prozesse der Gegenregulation und Bewältigung in Gang gesetzt werden. (Beispiel: Die Entzündung eines Gewebes als Antwort auf eingedrungene Erreger)" (Rudolf, 1996, S. 1). Therapie erfolgt über Medikamente oder durch Rehabilitationsmaßnahmen (z.B. Entlastung).
Hier dominieren die Prinzipien naturwissenschaftlicher Forschung und naturwissenschaftlicher Objektivierung.
Die Psychosomatik kritisiert die Ausschließlichkeit dieses Modells, grenzt diese Ebene aber nicht aus, sondern sie bildet einen wichtigen Pol des therapeutischen (bzw. ärztlichen) Handelns.
Die Psychosomatik betont, dass es nicht Organe, sondern Menschen und nicht Krankheiten, sondern Kranke zu behandeln gilt.
Wie verändert sich das Krankheitsmodell, wenn die Persönlichkeit des Kranken in das Zentrum der Betrachtungen rückt? Die Person ist dadurch gekennzeichnet, dass sie denkt und fühlt, Absichten hat und Wertungen vornimmt und nicht nur einen Körper besitzt, der einen organischen Befund aufweist. Ihr Denken und Fühlen basiert auf ihrer Erfahrung.
Jede Situation, vor die ein Mensch gestellt wird (z.B. als Patient in der Klinik), und jede Information, die er erhält (z.B. die Diagnose des Arztes), nimmt er in seine Sinnstruktur auf. Dieser Vorgang ist subjektiv, und der Patient bildet subjektive Theorien über den Verlauf und die Ursache seiner Krankheit, die sich von den Ansichten der wissenschaftlichen Medizin unterscheiden.
Früher wurde dieser subjektiven Perspektive des Patienten keine Bedeutung beigemessen, doch heute haben ausgedehnte Forschungsarbeiten zur subjektiven Krankheitstheorie und zur Krankheitsbewältigung (Coping) dazu beigetragen, der wissenschaftlichen Sicht von Krankheit das Verständnis der Kranken hinzuzufügen.
Therapeutische Konsequenzen hat diese Sichtweise vor allem da, wo es um die Bewältigung nicht behebbarer Krankheiten (z.B. chronische Erkrankungen) geht. Eine Krankheit stellt eine massive Bedrohung dar, und es erfordert psychische Bewältigungsaktivitäten, um das Kranksein sinnvoll in den eigenen Lebenszusammenhang zu integrieren. "Vom Gelingen oder Misslingen eines solchen Bewältigungsprozesses hängt nicht nur das subjektive Wohlbefinden oder Leiden des Patienten (Lebensqualität) ab, sondern sogar die Besserungsrate oder Überlebensquote. In den bekannten Untersuchungen von Spiegel (1989) konnte nachgewiesen werden, dass diejenigen an metastasierendem Brustkrebs erkrankten Frauen, die in einer Gruppenpsychotherapie eine starke psychosoziale Unterstützung im Umgang mit ihrer Krankheit erfuhren, nicht nur eine wesentlich bessere Lebensqualität beschrieben, sondern im Durchschnitt auch rund doppelt so lange lebten wie die unbehandelten Patientinnen" (Rudolf, 1996, S. 5).
Die personale Ebene ist für die psychosomatische Medizin besonders wichtig. Es geht darum, sich in den Menschen einzufühlen und so die Asymmetrie der Arzt-Patient-Beziehung zu relativieren. Für viele Ärzte gehört ein solches Verhalten zum Berufsalltag, ohne dass sie dieser Ebene eine besondere wissenschaftliche Aufmerksamkeit schenken würden, sondern sie entwickeln sie aus ihrer Lebens- und Berufserfahrung heraus.
Der Mensch ist ein soziales Wesen, das ständig in realen Beziehungen steht und sich mit ihnen befasst. Der Mensch ist nur als ein Teil eines Beziehungssystems denkbar. Hier beginnt die psychodynamische Ebene, die vor allem die soziale Natur des Menschen betont.
Die Lebensgeschichte eines Menschen besteht aus bewusst oder unbewusst gespeicherten Interaktionen mit anderen Menschen, beginnend bei der ersten Beziehungserfahrung des Säuglings zu seiner Betreuungsperson, über alle Stufen der Beziehungserfahrungen des Kindes hinweg, bis ins Erwachsenenalter hinein. "Aus dem Niederschlag dieser Erfahrungen bildet sich die Persönlichkeit als eine Struktur des Erlebens und des Verhaltens" (Rudolf, 1996, S. 5).
Diese Erfahrungen sind auch in das körperlich-vegetative Gedächtnis eingegraben, beispielsweise als Körperhaltung, als typische Mimik oder Gestik, oder aber auch als Bereitschaft körperlichen Reagierens. Sie sind weitgehend unbewusst und werden immer wieder aktiviert.
Zwangsläufig werden neue Beziehungen von den Mustern alter Erfahrungen geprägt. Sind die frühen Erfahrungen, die die Struktur des Menschen geprägt haben, sehr belastend und schmerzhaft gewesen, werden diese so genannten Traumen und Konflikte in der Struktur gespeichert. Diese Konflikte können zwar vorübergehend verarbeitet oder verdrängt werden, liegen aber unterschwellig immer bereit.
Kommt auf den Erwachsenen ein ernsthaftes Problem zu, kann es sein, dass dieser genau den wunden Punkt des inneren Konfliktes trifft.
"Unter Umständen genügt der sprichwörtliche Tropfen, um das Fass zum Überlaufen zu bringen; das konflikthafte Thema kann nicht länger bewältigt oder verdrängt werden, das ganze System gerät krisenhaft aus dem Gleichgewicht, es kommt zur Symptombildung im psychischen oder psychosomatischen Bereich, wobei vor allem die oben erwähnte symbolische Ordnung des Unbewussten das Symptom gestaltet" (a.a.O., S.6). Der Konflikt wird über die Symptombildung teilweise oder verformt zum Ausdruck gebracht. Es ist der Versuch, ein Gleichgewicht wiederherzustellen, und kann so auch als Selbstheilungsversuch gesehen werden.
Psychosomatiker beschäftigen sich deswegen mit dem Beziehungssystem des Betroffenen.
"Beziehungen im Sinne von Interaktion, Sprache, nonverbaler Kommunikation stellen das menschliche "Organ" dar, das Psychosomatik in besonderer Weise untersucht" (a.a.O., S.6). Eine psychotherapeutische Behandlung versucht, die Beziehungskonflikte aufzudecken.
Wichtig ist, anzumerken, dass auch die Arzt-Patient-Beziehung ein Teil dieses Beziehungssystems ist. Die Interaktionsprozesse zwischen Arzt und Patient haben im psychosomatischen Modell einen entscheidenden Einfluss auf das Behandlungsergebnis.
Menschen leben nicht nur in Zweierbeziehungen, sondern auch in sozialen Systemen, die kulturell und ökonomisch geprägt sind. "Ein sozial lebendes Wesen braucht geradezu bedürfnishaft das Gefühl des Miteinander, des Dazugehörens, des Übereinstimmens, gleichzeitig lebt der einzelne in der Überzeugung, ganz aus sich heraus zu entscheiden und zu handeln, ein einmaliges Individuum zu sein, das sich von allen anderen unterscheidet. Aus dieser paradoxen Situation heraus versucht der einzelne, seine individuellen Ziele zu verfolgen, und doch tut er, was alle tun und denkt, was alle denken" (Rudolf, 1996, S. 9). Der Einzelne verinnerlicht die Überzeugungen, Normen und Werte seiner Gemeinschaft. Mythen und Erzählungen vermitteln eine kulturelle Tradition und mit ihr Konfliktlösestrategien wie auch Regeln des emotionalen Ausdrucks.
"Krankheit, d.h. Symptombildung, der Ausdruck der Symptomklage, die Erklärungsmodelle der subjektiven Krankheitstheorien, das Krankheitsverhalten sind, wie die kulturvergleichende medizinische Anthropologie zeigt (Sich 1990), jeweils der ganz spezifische Ausdruck einer Kultur" (a.a.O., S. 9).
Die Medizin ist ebenso ein Teil der Kultur, wie auch Krankheiten auf dem Boden der eigenen Kultur entstehen und manche (insbesondere psychosomatische Störungen) sich als kulturspezifische Konflikte verstehen lassen. Beispielsweise lässt sich das Krankheitsbild der Magersucht schwer ohne die Betrachtung der Rollenkonflikte und Identitätsprobleme junger Frauen in typischen Familienstrukturen unserer Gesellschaft, verstehen.
Für den Arzt bedeutet der Einbezug der gesellschaftlichen Perspektive, dass er seine eigenen Wertüberzeugungen und Einstellungen kritisch reflektiert und die des Patienten im Hinblick auf dessen gesellschaftlichen Hintergrund möglichst vorurteilsfrei wahrnimmt.
"Organmedizinische Fächer und Psychosomatik richten den Fokus ihrer Aufmerksamkeit auf unterschiedliche Ebenen: Eine naturwissenschaftlich ausgerichtete Medizin hat ihren Schwerpunkt in der biologischen Ebene, eine psychosomatische Medizin im Sinne von Weizsäckers betont die personale Dimension, eine psychoanalytische oder im weiteren Sinne psychodynamisch orientierte Psychosomatik fokussiert die Ebene der Interaktion, eine gesellschaftspolitisch interessierte Medizin oder eine kulturtheoretisch ausgerichtete Psychosomatik kommt nicht ohne die soziokulturelle Ebene aus" (Rudolf, 1996, S. 11). Es besteht aber die Notwendigkeit zur Vernetzung. Die psychosomatischen Ansätze haben nur dann klinische Bedeutung, wenn sie eng mit der biologischen Ebene Kontakt halten. "Klinische Psychosomatik kann nur dort realisiert werden, wo man ernsthaft um die theoretische und handlungspraktische Verknüpfung der vier Ebenen bemüht ist" (a.a.O., S. 11).
Insofern ist der Ansatz fächerübergreifend. Wichtig dabei ist vor allem, dass der Arzt lernt, das eigene Gebiet auch aus der Sicht einer anderen Disziplin zu sehen.
"Psychosomatik ist Medizin für neugierige Ärzte (von Uexküll 1991)" (zitiert nach Rudolf, 1996, S. 12).
Darüber hinaus verändert die konsequente Integration der verschiedenen Ebenen den Krankheits- und den Gesundheitsbegriff. Gesundheit kann als gelungene Anpassung auf allen Ebenen verstanden werden. Krankheit hat immer mehrere Ebenen: psychologische, soziale, entwicklungsbedingte und körperliche.
Dipl.-Psych. Volker Drewes
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