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Aggressions-Bewältigungsprogramm - Teil 4 |
Aus der Sicht der Mutter
- Die Bedürfnisse der Mutter
GB1 (Unlust vermeiden, Lustgewinn)
Es macht keinen Spaß, mit einem unwilligen Kind zu arbeiten. Dass es wegen der Verweigerungshaltung auch noch so lange dauert, vermindert die Lust an der Zusammenarbeit zusätzlich. Mutter geht schon schlecht gelaunt in die Situation hinein.
GB2 (verstehen, kontrollieren, bewirken):
Die Mutter ist hilflos. Sie kann nicht verstehen, dass das Kind so unwillig ist. Schließlich hängt seine Zukunft davon ab, wie es in der Schule lernt.
GB3 (Bindung, Zugehörigkeit, Liebe):
In solchen Situationen möchte sie ihr Kind am liebsten ,,gegen die Wand klatschen". Hinterher macht sie sich über solche Gedanken Vorwürfe. Ein Rest Verärgerung trübt dennoch ihre Beziehung zum Kind. Ihr Mann macht ihr die Vorwürfe, dass der Junge so schlecht in der Schule ist. Vielleicht hat er ja Recht. Dennoch ist sie wütend auf ihn, weil er ihr die Verantwortung überlässt.
GB4 (Selbstwert):
Offensichtlich hat sie als Mutter versagt bei der Erziehung ihres Kindes. Die Nachbarin dagegen gibt damit an, dass ihr Kind ein Uberflieger sei. Das nagt am Selbstbewusstsein.
- Das Erregungsniveau
Es handelt sich um ihr eigenes Kind. Das macht befangen und besorgt. Die Reizschwelle ist erniedrigt. Der ständige Kampf mit dem Kind ist frustrierend. Schnell setzt Erregung ein, die die Fähigkeit, sich in die spezifischen Probleme des Kindes einzufühlen verringert und somit auch die Fähigkeit zu einer angemessenen Problemlösung.
- Die Kompetenz
Die Mutter hat nicht gelernt, auf spezifische Lernprobleme einzugehen.
Analyse der Situation aus der Sicht des Kindes
- Die Bedürfnisse des Kindes
GB1 (Unlust vermeiden, Lustgewinn):
1. Das Kind versucht, die unlustbetonte Situation zu vermeiden. Das gelingt ihm durch Ablenkungsmanöver. Die Reaktionen der Mutter auf diese sind trotz Schimpferei immer noch weniger schlimm als die Hausaufgabensituation. Der Junge hat sogar echte Erfolgserlebnisse, wenn die Mutter auf ablenkende Fragen oder gar auf Bitten (Trinken) eingeht. Die Lösungen der Mutter sind Teil des Problems, da sie durch ihr Verhalten dazu beiträgt, dass ihr Kind sich nicht konzentriert.
2. Mit Steigerung der Erregung bei Kind und Mutter wird ihr Schimpfen dann allmählich so unangenehm empfunden, dass die Vorteile unter 1. nicht mehr zum tragen kommen. Die Lernsituation wird als unlustvoll erlebt. Der Wunsch, diese zu vermeiden, wird eher erhöht.
GB2 (verstehen, kontrollieren, bewirken):
1. Das Kind bekommt keine echte Hilfestellung bei der Problemlösung. Egal was es macht, es scheint immer falsch zu sein. Die Mutter nörgelt eh nur. Was ist denn nun richtig?
2. Die sich steigernde Erregung verringert die Problemlöse- und Denkfähigkeit.
GB3 (Bindung, Zugehörigkeit, Liebe):
Das Kind spürt, dass die Mutter ihm gegenüber im Moment keine liebevollen Gefühle hat. Ist es sensibel, könnte dies zur Befürchtung veranlassen, Mama hätte es nur lieb, wenn es Leistungen vollbringt.
GB4 (Selbstwert):
Es kann sich noch so viel Mühe geben, das Kind erlebt sich dennoch als Versager.
- Das Erregungsniveau
Die frustrierende Situation verringert die Reizschwelle. Die Stimmung ist sowieso nicht besonders gut. Die ständige Nörgelei frustriert ihn noch mehr, was zu Ärger führt. Die gereizte Stimmung der Mutter steckt unter diesen Bedingungen erst recht an. Schnell kommt es zu Erregung. Die Denkfähigkeit wird dadurch eingeschränkt.
- Die Kompetenz des Kindes
Durch seine Teilleistungsschwäche ist sie beim Erlernen des Lesens eingeschränkt. Der Junge muss viel mehr Kraft autbieten als andere Kinder. Er ist deshalb schneller erschöpft, was sich in Unkonzentriertheit äußert.
Was ist zu tun?
Wenn Sie an der Stelle der Mutter wären, könnten folgende Strategien hilfreich sein:
- Reagieren Sie auf erwünschtes Verhalten des Kindes so, dass möglichst viele Grundbedürfnisse befriedigt werden:
a) Anerkennen Sie auch kleine Leistungen. Dadurch erhält das Kind das Gefühl, etwas erreicht zu haben (GB2). Sein Selbstwertgefühl wird gesteigert (GB4). Außerdem bereitet es Lust, gelobt zu werden (GB1). Das könnte dazu führen, dass es wieder Spaß am Lernen bekommt.
b) Helfen Sie ihm, selbständig die richtigen Lösungen zu finden (GB2). Das Kind fühlt sich nicht bedroht, sondern hat das Gefühl, sie stehen ihm zur Seite (GB3).
- Lassen Sie sich aber auch nicht von den Ablenkungsmanövern des kleinen Schlingels manipulieren. Das hört sich einfach an. In der Praxis bringt es aber eine Menge Probleme mit sich.
Man muss sich zunächst erst einmal bewusst werden, welche Methoden das Kind immer wieder anwendet, um der unangenehmen Arbeit zu entfliehen. Der Erfindungsreichtum der Kinder und ihr Gespür dafür, wie sie ihre Eltern ,,kriegen" können, sind oft bewundernswert. Es gibt da eine Reihe Tricks, die immer wieder erfolgreich angewandt werden:
Der Auf-das-Klo-müssen-Trick
Hier gerät man in eine ganz schöne Zwickmühle. Man kann nichts dagegen einwenden, wenn Marlenchen mal raus muss. Misstrauisch sollte man aber werden, wenn Bedürfnisse solcher Art ausgerechnet während der Erledigung der Hausaufgaben bedeutsam und regelmäßig ansteigen. Vorbeugen kann man, indem man dem Kind mitteilt, dass man den Trick mittlerweile kennt, und darum bittet, vor der Arbeit die Toilette aufzusuchen. Während der Arbeit braucht man dann darauf nicht mehr einzugehen.
Der Hunger-oder-Durst-haben-Trick
Das Kind sollte tatsächlich nicht durstig oder hungrig seine Aufgaben erledigen. Stellt sich aber während der Aufgaben Appetit ein, kann man das als Ansporn verwenden. Man macht entweder von vornherein oder von Fall zu Fall aus, dass es Plätzchen, Limonade oder ähnliches gibt, wenn ein bestimmtes Pensum geschafft worden ist.
Der Unterhaltung-anfangen-wollen-Trick
Dem beugt man am besten dadurch vor, indem man sich schon vorher alles erzählen lässt. Man kann auch Pausen zum Erzählen einplanen, die als Belohnung für ein festgelegtes Arbeitspensum eingesetzt werden.
Versucht das Kind trotzdem, beim Arbeiten abzulenken, reagiert man am besten nicht. Allenfalls zeigt man wortlos mit dem Finger auf die Stelle, wo man gerade ist. Die meisten Kinder merken bald, dass sie mit ihren Ablenkungsmanövern nicht ankommen.
Manche aber vergrößern zunächst einmal die Intensität ihrer Bemühungen und werden immer eindringlicher. Hier heißt es Nerven behalten! Wenn ein Kind doch noch Erfolg haben sollte, hat man die Sache mitunter verschlimmert, weil es das Lange-Bohren-Müssen mit einkalkuliert.
Zwischendurch darf man auch ab und zu Bemerkungen fallen lassen wie:
- "Bitte mach weiter!"
- "Erzähl mir das bitte später"
Das sollte aber nicht allzu häufig vorkommen. Andere beliebte Ablenkungstricks sind:
- Malen
- Im Buch weiter blättern
- Bilder kommentieren
- Spielen
- Fliegen an der Wand verfolgen usw.
In jedem Fall ist es gut, wenn man nur knapp, und dann möglichst wortlos, auf die Ablenkung reagiert.
Während man versucht, Ablenkungsmanöver nicht oder möglichst wenig zu beachten, müssen positive Ansätze zur Problemlösung natürlich verstärkt - gelobt, anerkannt, belohntwerden. Je mehr Probleme ein Kind hat, umso mehr Verstärker braucht es in der Regel.
Schon kleine Ansätze in Richtung Lösung müssen hervorgehoben werden. Mit der Zeit kann man die Zahl der Verstärker reduzieren bzw. die Anforderungen steigern, wenn sich Fortschritte zeigen sollten.
- Weiter in unserer Strategie:
Wenn Sie merken, dass sie oder ihr Kind beginnen, sich aufzuregen, versuchen Sie die oben geschilderten Techniken zur Beruhigung anzuwenden.
Suchen Sie ggf. professionelle Hilfe. Fragen Sie Ihren Berater oder Therapeuten.
Wenn Sie schon alles richtig verstanden haben, sind Sie schon fast ein Profi. Wenn nicht - dranbleiben. Um zu testen, wie profihaft Sie jetzt schon sind, versuchen Sie doch mal der Mutter im obigen Beispiel Tipps zu geben und vergleichen Sie diese mit der Alternative auf der nächsten Seite.
Die Alternative
Wenden wir uns noch einmal der oben geschilderten Szene zu und lassen die Mutter im Sinne der vorgeschlagenen Strategien reagieren:
Mutter: "So, wir hatten ja ausgemacht, dass wir noch eine Seite im Buch lesen wollten."
Kind: "Ich habe jetzt aber keine Lust zum Lesen."
Mutter: "Du hast es mir aber versprochen, bitte fang an." (Appell an die Beziehung GB3)
Kind: "Na ja, dann lese ich eben erst mal die Überschrift"
Mutter: "Das freut mich, bitte fang an." (Lob: GB1, GB3)
Kind: "Es wi-i-imme-lt von Ameisen"
Mutter: "Ja" (freundlich) (Lob: GB1, GB2)
Kind: "Guck mal Mutti, ist das nicht ein komischer Ameisenhaufen?"
Mutter: (Schweigt und zeigt mit dem Finger auf den Text) (Mutter vermeidet Erfolgserlebnis für Ablenkungsmanöver)
Kind: "P-e-e-ter und Die-ter sie-tzen am Wal-Waldesra-a-nd"
Mutter: "Ja, das geht ja schon ganz gut. Vielleicht versuchst du es noch etwas flüssiger." (Lob: GB1, GB2; Mutter gibt Hilfestellung. GB3)
Kind: "Mutti, morgen kommt wieder Kung-Fu im Fernsehen."
Mutter: (Schweigt, zeigt mit dem Finger auf den Text.) (Mutter vermeidet Erfolgserlebnis für Ablenkungsmanöver)
Kind:"Plö-ö-tzlich ruft Di-ieter: Au, das war eine A-ameise."
Mutter: "Hm."(Freundlich) (Lob. GB1, GB2, GB3)
Kind: "Mutti, wie groß können denn so Ameisen werden?"
Mutter: (Schweigt, zeigt mit dem Finger auf die nächste Zeile.) (Mutter vermeidet Erfolgserlebnis für Ablenkungsmanöver)
Kind: "Au das war ei-i-ne Ameise! Hier wi-i-imemelt es ja von Ameisen"
Mutter: "Hm, gut" (Lob. GB1, GB2, GB3, GB4)
Kind: "Die Ju-u-ungen falgen"
Mutter: "Lies den Satz bitte nochmal!" (sachliche Kritik, konstruktive Hilfestellung)
Kind: "Die Ju-ungen folgen einer A-mei-sen-str-straße."
Mutter: "Fein." (Lob: GB1, GB2, GB3, GB4)
Kind: "Mama, ich hab Durst."
Mutter: "Wenn wir den Absatz zu Ende haben, dann trinken wir gemeinsam etwas." (Mutter nutzt Ablenkungsmanöver als Ansporn aus)
Kind: "Sie führt in eine Stadt m-i-t Tause-end Teo-onen."
Mutter: "Lies bitte das letzte Wort nochmal!" (sachliche Rückkoppelung, ohne zu kränken: GB4)
usw.
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