Aggressions-Bewältigungsprogramm - Teil 2 |
Der Einfachheit halber wollen wir hier unter Erregung das Wirken starker Gefühle verstehen. Hier einige Gründe, warum Erregung im Zusammenhang mit Konflikten eine meist destruktive Rolle spielt:
Diese Aufzählung könnte man noch weiter führen. Eines wird aber jetzt schon deutlich: Erregung erhöht die Chance der Konfliktverschärfung.
Warum das so ist, wird deutlich, wenn wir uns klar machen, was in unserem Gehirn passiert, wenn Gefühle und Erregung im Spiele sind.
Die Abbildung gibt in sehr vereinfachter Form wieder, wie das Gehirn arbeitet, wenn wir mit einer Situation konfrontiert werden, die Unlust erregt (GB1) und/oder als bedrohlich empfunden wird. Wie wir sehen, werden dabei Informationen parallel auf zwei verschiedenen Wegen verarbeitet:
Oberer Weg:
Wir erhalten Informationen über die Sinnesorgane. Der Thalamus schickt die Information an die Großhirnrinde und andere Bereiche, die für die verstandesmäßige Verarbeitung zuständig sind. Die Informationen werden dort rational und logisch verarbeitet. Das dauert zwar seine Zeit. Die Ergebnisse sind jedoch durchdacht und mehr oder weniger Abwägung möglicher Konsequenzen.
Unterer Weg:
Gleichzeitig werden die Informationen durch den Thalamus an die Amygdala (den Mandelkern) weitergeleitet, wo sie emotional -gefühlsmäßig- bewertet werden. Das geht schnell und reflexartig. Wenn keine oder wenig Kontrolle über den Oberen Weg vorhanden ist -das Großhirn also ausgeschaltet wird- kommt es zu unüberlegten emotionalen und heftigen Reaktionen. Komplexe Probleme können auf diese Weise nicht gelöst werden. Man handelt egozentrisch. Die Gefühle und Bedürfnisse anderer Menschen werden kaum oder nicht berücksichtigt.
Bleiben wir beim UNTEREN WEG, der für den beschriebenen Zusammenhang von besonderer Bedeutung ist. Grundsätzlich erleichtert er uns schnelle Reaktionen. Müsste man aber in jeder Situation überlegen, wäre man bald überfordert. Die meisten Gefühle sind zudem etwas Schönes, Lebenserhaltendes. Wir lieben unsere Kinder oder andere uns nahe stehende Menschen nicht nur aus logischen Erwägungen heraus (oberer Weg) sondern weil wir eine emotionale Beziehung zu ihnen haben (unterer Weg). Unter Bedrohung reagieren Menschen über den Unteren Weg aber nicht selten mit Angst oder Aggression. Das hat biologische Gründe. Angst ist ja eigentlich eine lebenserhaltende Sache. Unsere Gene befehlen uns, bei drohender Gefahr reflexartig, ohne lange Uberlegung zu handeln. Würden wir erst nachdenken, wären wir vielleicht schon tot. Diese blitzschnelle Reaktion wird durch einen (hier sehr vereinfacht dargestellten) Mechanismus hervorgerufen, den wir von unseren tierischen Vorfahren geerbt haben:
Im Prinzip führt der Untere Weg zu zwei Reaktionsmöglichkeiten:
Versetzen wir uns in die Lage eines Schülers. Er sitzt an einer schwierigen mathematischen Aufgabe. Der Lehrer nähert sich und meckert. Er kritisiert, dass zu langsam gearbeitet wird und zu unordentlich. Man solle sich gefälligst etwas beeilen. Das erweckt Angst beim Kind. Die Sinnesorgane melden Gefahr an das Gehirn. ACTH wird ausgeschüttet, die Nebennierenrinde reagiert mit der Produktion von Stresshormonen. Dadurch werden Fluchtmechanismen in Gang gesetzt, die die Denkzellen blockieren. In der freien Natur ware das vielleicht sinnvoll. In der Schule aber nicht! Das Kind kann nicht fliehen, es muss in der Situation verharren. Und gerade jetzt braucht das Kind die Denkzellen, um mit dem Problem fertig zu werden.
Die Schulsituation ist im Verhalten des Menschen nicht vorprogrammiert, was zu einer Fehlanpassung führt. Das Kind zeigt Leistungsversagen, Angst (Flucht) oder lehnt sich mit Frechheiten und Aggressionen gegen Lehrer und Eltern auf (Angriff).
Im nächsten Schritt, in dem es um Emotionen und Erregung geht, können Sie als erstes eine Übung durchführen.
Führen Sie folgende Übung durch, um Ihre eigene Erregung (oder die Ihres Kindes, Vorgesetzten usw.) einzuschätzen. Benutzen Sie dafür die Erregungsniveaukurve aus dem folgenden Schritt "Erregung im Griff!"
Übung 1:
Beurteilen Sie dafür Ihre und die Erregung Ihres Gegenübers mit Hilfe unserer Erregungsniveaukurve. Beobachten Sie sich und Ihr Kind (oder Partner, Kollegen, Vorgesetzten) in akuten Situationen. Schätzen Sie mit Hilfe der Kurven ein, wie hoch Ihre eigene Erregung und die Ihres Kindes oder des Anderen ist. Vielleicht gelingt es Ihnen dadurch, wieder die Kontrolle zu gewinnen (GB2) und die Situation zu entspannen (GB1):
Machen Sie Aufzeichnungen möglichst in der akuten Situation, spätestens aber unmittelbar danach!
In vielen Fällen neigen Eltern und Kinder (oder Ehepartner, Kollegen usw.) dazu, sich mit der Aufregung gegenseitig anzustecken. Vielleicht wird das Kind zunächst etwas verärgert, frustriert von der ständigen Nörgelei der Mutter. Diese wiederum ist frustriert vom Verhalten des Kindes. Bei beiden steigt der Adrenalinspiegel. Mutter schreit (Angriff), Kind wird bockig oder ängstlich (Flucht) - an eine konstruktive Problemlösung ist jedenfalls nicht mehr zu denken. Je mehr man sich gegenseitig hochbringt, um so mehr bleibt die Vernunft auf der Strecke. Der UNTERE WEG wird gemeinsam beschritten.
Übung 2 [P]:
Nehmen Sie doch mal Ihre Ehekräche auf Video auf In einer ruhigenund gemütlichen Stunde schauen Sie sich die Aufnahme gemeinsam an. Beurteilen Sie ehrlich die Qualität Ihrer Argumentation und beobachten Sie, inwieweit Sie einfühlsam und diplomatisch vorgegangen sind (Verspüren Sie dann auch den ,,MEIN GOTT! !! !- Effekt"?). Beurteilen Sie selbst, welcher Weg bei Ihrer Interaktion überwiegend beschritten wurde.
Wenn Sie mit einem Kind in Konflikt geraten: Wer von Ihnen beiden hat größere Chancen, diesen Kreislauf zu unterbrechen - Sie oder das Kind?
Natürlich Sie! Lassen Sie uns also an Möglichkeiten arbeiten, Ihre eigene Erregung unter Kontrolle zu bringen. Damit erhöht sich die Chance, dass Sie demnächst überlegt und professionell mit dem Kind umgehen. Wenn Sie mit Erwachsenen Probleme haben, wird Ihnen dies ebenfalls Vorteile verschaffen.
Der erste Schritt ist, sich über das Ausmaß und die Auswirkungen der Erregung aller Beteiligten im Klaren zu sein.
Erregungsniveau beim Kind/Jugendlichen! Konfliktpartner
Schätzen Sie im Konfliktfall den Grad der Erregung auf einer Skala von 0 bis 100 ein. Orientieren Sie sich dabei an der Grafik unten.
Beispiel: Ab 50 Grad setzt Kontrollverlust ein (GB2). Dokumentieren Sie, was Sie kurz vor Einsetzen des Kontrollverlustes beobachten (Ausdruck, Stimmlage usw.)
Ihr eigenes Erregungsniveau
Beobachten Sie im Konfliktfall Ihre Empfindungen, Erregungsniveau und Verhaltensweisen parallel zu oben. Dokumentieren Sie, was Sie kurz vor dem Verlust Ihrer Selbstkontrolle spüren und fühlen:
Sie können nun auf Basis Ihrer Aufzeichnungen gemeinsam weitere Techniken der Entspannung und Eskalation einüben.
Das schaffen Sie nicht?! Was verlangen Sie dann von Ihrem Kind?!
Das leitet zum Thema KOMPETENZ über.
Dipl.-Psych. Volker Drewes
Kollwitzstr. 41
10405 Berlin
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