Um das Denken in komplexen Entscheidungssituationen zu untersuchen, verlegte Dörner die Realität auf den Computer, wo er die Möglichkeit hatte, komplizierte Realitäten zu simulieren. "Dies bietet für die Psychologie die Möglichkeit, Prozesse experimentell zu studieren, die bisher nur in Einzelfällen beobachtbar waren. Mit Hilfe computersimulierter Szenarios kann man das Verhalten von Versuchspersonen, die sich in einer komplizierten politischen Situation befinden, genau beobachten und protokollieren" (Dörner, 1992, S. 19).
Solch ein Computerszenario hat natürlich immer Spielcharakter, doch es ist möglich, anhand von computersimulierten Realitäten, die Hintergründe von Planungs-, Entscheidungs- und Urteilsprozessen, die vorher der direkten Beobachtung entzogen waren, zu erhellen, besser als anhand von nachträglicher Erforschung solcher Prozesse in der "richtigen" Realität.
Tanaland ist ein Gebiet irgendwo in Ostafrika, durch das der Owanga-Fluß mündet, der sich zum Mukwa-See verbreitert. An diesem See liegt Lamu, das von Obstplantagen und Gärten umgeben ist und von einer Waldregion. Die Tupi wohnen in und um Lamu und sind ein Stamm, der von Ackerbau und Gartenwirtschaft lebt. Im Norden und Süden gibt es Steppengebiete und im Norden, in der Gegend eines kleinen Ortes namens Kiwa, leben die Moros, die Hirtennomaden sind und von Rinder- und Schafzucht und von der Jagd leben.
Tanaland existiert nicht wirklich, sondern ist computersimuliert. Dörner gab in seiner Untersuchung 12 Versuchspersonen die Aufgabe, für das Wohlergehen des Landes und seiner Bewohner zu sorgen. Dabei hatten sie sozusagen diktatorische Vollmacht, da alle ihre Eingriffe durchgeführt wurden. Sie konnten z.B. Staudämme bauen, Düngung der Felder verbessern, die gesamte Region elektrifizieren, Maßnahmen zur Geburtenkontrolle durchführen, die medizinische Versorgung verbessern und vieles mehr.
Die Versuchspersonen hatten zu insgesamt sechs frei gewählten Zeitpunkten die Gelegenheit, Informationen zu sammeln, Maßnahmen zu planen und Entscheidungen zu treffen. Zu jedem der sechs Eingriffszeitpunkte waren so viele Maßnahmen möglich wie sie wollten. In jeder neuen Eingriffsphase konnten auch die Ergebnisse, die Erfolge und Mißerfolge der vorhergehenden Phasen berücksichtigt, Entscheidungen rückgängig gemacht oder modifiziert werden. Sie sollten das Schicksal von Tanaland für eine Dauer von zehn Jahren bestimmen.
Die Ergebnisse bei der durchschnittlichen Versuchsperson waren meist eine kurzfristige Besserung (z.B. ansteigende Bevölkerungszahl, Erhöhung der Lebenserwartung), doch die langfristigen Folgen wurden nicht bedacht, waren aber katastrophal (z.B. ausbrechende Hungersnöte: bei Dörners durchschnittlicher Versuchsperson kam es etwa im 88. Monat zu einer nicht mehr auffangbaren Hungerkatastrophe) und kamen für die Versuchspersonen meist völlig überraschend (genaue Ergebnisse IN: Dörner, Dietrich: Die Logik des Mißlingens, S. S.22-32).
Es gab aber durchaus positive Ergebnisse bei Versuchspersonen (manche erreichten eine Stabilisierung der Bevölkerungszahlen und insgesamt eine Anhebung des Gesamtniveaus des Lebensstandards, ohne die negative Dynamik der Entwicklung), was zeigt, daß eine Stabilisierung der Verhältnisse in Tanaland durchaus möglich war
Die Gründe waren keineswegs, daß die "gute" Versuchsperson über spezielles Fachwissen verfügte, was die anderen nicht hatten. Die Gründe sind nach Dörner eher in bestimmten Denkfiguren zu suchen. In solch einem komplexen System, wie Tanaland es ist, kann man nicht nur eine Sache tun, denn die eine Maßnahme hat immer noch andere Auswirkungen, egal ob man will oder nicht.
Die Untersuchung wurde nur mit 12 Personen durchgeführt. Daher können keine generalisierbaren Aussagen gemacht werden, doch die Ergebnisse machen eine Tendenz klar, wie Denken, Wertesysteme, Emotionen und Stimmungen bei der Handlungsorganisation interagieren.
Dipl.-Psych. Volker Drewes
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