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Merk­male kom­ple­xer Hand­lungs­si­tua­ti­o­nen

Kom­plexe Hand­lungs­si­tua­ti­o­nen sind kom­plexe, ver­netzte, intrans­pa­rente und dyna­mi­sche Situa­ti­o­nen.

  1. Ver­netzt­heit/ Kom­ple­xität: Diese Situa­ti­o­nen sind gekenn­zeich­net von vie­len Vari­a­blen, die mit­ein­an­der ver­netzt sind, d.h. sie beein­flus­sen sich unter­ein­an­der mehr oder min­der stark. Das macht die Kom­ple­xität aus.
  2. Eigen­dy­na­mik: Ein wei­te­rer Punkt ist, daß sol­che Situa­ti­o­nen die Eigen­schaft haben, sich selbst wei­ter­zu­ent­wi­ckeln, d.h. sie haben eine Eigen­dy­na­mik.
  3. Intrans­pa­renz: Darüber hin­aus zeich­net diese Situa­ti­o­nen aus, daß man meis­tens nicht alles sehen kann, was man sehen will, d.h. sie sind intrans­pa­rent.
  4. Unkennt­nis und falsche Hypo­the­sen: Häufig hat nie­mand der Betei­lig­ten eine vollständige Kennt­nis aller Eigen­schaf­ten der Situa­tion, teil­weise exis­tie­ren sogar falsche Annah­men über die Situa­tion.

"Kom­ple­xität, Intrans­pa­renz, Dyna­mik, Ver­netzt­heit und Unvollständig­keit oder Falsch­heit der Kennt­nisse über das jewei­lige Sys­tem: dies sind die all­ge­mei­nen Merk­male der Hand­lungs­si­tua­ti­o­nen beim Umgang mit sol­chen Sys­te­men" (Dörner, 1993, S. 59). Mit die­sen Merk­ma­len muß man umge­hen, und aus ihnen erge­ben sich viele spe­zi­fi­sche Anfor­de­run­gen an den Han­deln­den.

zu a. Kom­ple­xi­tät
Kom­plexe Ent­schei­dungs­si­tua­ti­o­nen kenn­zeich­nen eine große Anzahl von Merk­ma­len. Man muß viele Merk­male auf ein­mal beach­ten, um der Situa­tion gerecht zu wer­den, und man muß zusätzlich berücksich­ti­gen, daß die ver­schie­de­nen Vari­a­blen des Sys­tems nicht unabhängig von­ein­an­der sind, son­dern sich wech­sel­sei­tig beein­flus­sen. "Die Exis­tenz von vie­len, von­ein­an­der abhängi­gen Merk­ma­len in einem Aus­schnitt der Rea­lität wol­len wir als >Kom­ple­xität< bezeich­nen. Die Kom­ple­xität eines Rea­litätsaus­schnitts ist also um so höher, je mehr Merk­male vor­han­den sind und je mehr diese von­ein­an­der abhängig sind. Der Grad an Kom­ple­xität ergibt sich also aus dem Ausmaß, in dem ver­schie­dene Aspekte eines Rea­litätsauschnit­tes und ihre Ver­bin­dun­gen beach­tet wer­den müssen, um eine Situa­tion in dem jewei­li­gen Rea­litätsaus­schnitt zu erfas­sen und Hand­lun­gen zu pla­nen" (Dörner, 1992, S. 60). Viele Merk­male allein machen nicht die Kom­ple­xität aus. Kom­plex ist ein Sys­tem erst dann, wenn die ver­schie­de­nen Merk­male verknüpft sind, d.h. sich unter­ein­an­der beein­flus­sen. Das macht die gleich­zei­tige Beach­tung vie­ler Merk­male not­wen­dig.

zu b. Dyna­mik
In dyna­mi­schen Sys­te­men folgt nicht eine Hand­lung auf die andere, son­dern die Aus­wir­kun­gen einer Hand­lung ent­wi­ckeln sich wei­ter. Die Rea­litätsauschnitte sind nicht pas­siv, son­dern in gewis­sem Maß aktiv. Dies erzeugt unter ande­rem Zeit­druck. So muß man sich wegen des Zeit­drucks auch manch­mal beim Pla­nen mit Ungefährlösun­gen zufrie­den geben. Manch­mal muß man dar­auf ver­zich­ten, alle Infor­ma­ti­o­nen zu sam­meln, die einem zur Lösung zur Verfügung ste­hen könnten, da es der Zeit­druck nicht erlaubt. Die Eigen­dy­na­mik die­ser Sys­teme macht es not­wen­dig, ihre Ent­wick­lungs­ten­den­zen zu erfas­sen. Bei einem dyna­mi­schen Sys­tem reicht es nicht aus, bloße offen lie­gende Tat­sa­chen zu erfas­sen, son­dern man muß zusätzlich ver­su­chen her­aus­zu­fin­den, wohin das Sys­tem will. Die Ana­lyse der augen­blick­li­chen Gege­ben­hei­ten reicht nicht aus.

zu c. Intrans­pa­renz
Die Intrans­pa­renz einer Situa­tion ist eine wei­tere Quelle von Unsi­cher­hei­ten in Pla­nungs- und Ent­schei­dungs­si­tua­ti­o­nen.

Die Intrans­pa­renz einer Situa­tion bedeu­tet, daß nicht alles sicht­bar ist, was man sehen will. "Viele Merk­male der Situa­tion sind demje­ni­gen, der zu pla­nen hat, der Ent­schei­dun­gen zu tref­fen hat, gar nicht oder nicht unmit­tel­bar zugänglich. Er steht also - bild­lich gespro­chen - vor einer Milchglas­scheibe. Er hat Ent­schei­dun­gen hin­sicht­lich eines Sys­tems zu fällen, des­sen augen­blick­li­che Merk­male er nur zum Teil, nur unklar, sche­men­haft, ver­wa­schen sehen kann - oder aber auch gar nicht" (Dörner, 1992, S. 63-64).

Selbst wenn man genaue Kennt­nis über die Sys­tem­struk­tur hat, ist meis­tens in kom­ple­xen Hand­lungs­si­tua­ti­o­nen nicht genau klar, wel­che Situa­tion im Moment vor­han­den ist.

zu d. Unkennt­nis und falsche Hypo­the­sen
"Wenn man in einer kom­ple­xen und dyna­mi­schen Situa­tion ope­rie­ren möchte, muß man nicht nur wis­sen, was der Fall ist. Man muß nicht nur die Merk­male der augen­blick­lich gege­be­nen Situa­tion ken­nen, son­dern man muß auch etwas wis­sen über die Struk­tur des Sys­tems. Die augen­blick­li­che Situa­tion mit ihren Merk­ma­len ist ja nur der jet­zige Zustand des Sys­tems und sei­ner Vari­a­blen. Man muß nicht nur wis­sen, was der Fall ist, son­dern auch, was in Zukunft der Fall sein wird oder sein könnte, und man muß wis­sen, wie sich die Situa­tion in Abhängig­keit von bestimm­ten Ein­grif­fen vor­aus­sicht­lich verändern wird" (Dörner, 1992, S. 64). Zu die­sem Zweck braucht man soge­nann­tes Struk­tur­wis­sen. Struk­tur­wis­sen ist Wis­sen über die Art und Weise, wie die Vari­a­blen eines Sys­tems zusam­menhängen, und wie sie sich gegen­sei­tig beein­flus­sen (Im Ide­a­l­fall hat man den gegen­sei­ti­gen Ein­fluß in Form einer mathe­ma­ti­schen For­mel).

Die Gesamt­heit der ein­sei­ti­gen, wech­sel­sei­ti­gen, ein­fa­chen oder kom­pli­zier­ten Zusam­menhänge, die die Betei­lig­ten im Kopf haben, nennt man Rea­litätsmo­dell. "Ein Rea­litätsmo­dell kann expli­zit, in bewußter, jeder­zeit abfrag­ba­rer Weise vor­han­den sein oder auch impli­zit, also so, daß der Akteur selbst nicht weiß, daß er eine Annahme über einen bestimm­ten Zusam­men­hang im Kopf hat und schon gar nicht, wie diese Annahme aus­sieht. Solch impli­zi­tes Wis­sen kommt häufig vor; man nennt es gewöhnlich “Intu­i­tion” oder sagt: “Für sol­che Dinge habe ich ein Gefühl.”" (a.a.O., S. 65).

Expli­zi­tes und ver­ba­li­sier­tes Wis­sen muß auch nicht zwangsläufig Hand­lungs­wis­sen sein. Es kann als the­o­re­ti­sches Wis­sen vor­han­den sein, ohne daß die Per­son fähig ist, die­ses Wis­sen prak­tisch anzu­wen­den.

Das Rea­litätsmo­dell eines Han­deln­den kann nun rich­tig oder falsch, vollständig oder nicht sein. Anzu­neh­men ist, daß es gewöhnlich unvollständig wie auch falsch ist und es ist wich­tig, sich auf die­sen Fall ein­zu­stel­len. Der Umgang mit unvollständi­gen und falschen Infor­ma­ti­o­nen und Hypo­the­sen ist eine wich­tige Anfor­de­rung an die Han­deln­den in kom­ple­xen Pro­blem­si­tua­ti­o­nen.

"Wenn wir die­ses Kapi­tel anschau­lich zusam­men­fas­sen wol­len, so können wir sagen, daß ein Akteur in einer kom­ple­xen Hand­lungs­si­tua­tion einem Schach­spie­ler gleicht, der mit einem Schach­spiel spie­len muß, wel­ches sehr viele (etwa: einige Dut­zend) Figu­ren auf­weist, die mit Gum­mifäden anein­an­derhängen, so daß es ihm unmöglich ist, nur eine Figur zu bewe­gen. Außerdem bewe­gen sich seine und des Geg­ners Figu­ren auch von allein, nach Regeln, die er nicht genau kennt oder über die er falsche Annah­men hat. Und oben­drein befin­det sich ein Teil der eige­nen und der frem­den Figu­ren im Nebel und ist nicht oder nur unge­nau zu erken­nen" (a.a.O., S. 66).

 

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Dipl.-Psych. Volker Drewes
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